Die vielen Ausflügler, die am vergangenen Sonntage den vor der Gaststätte “Weidmannsheil” parkenden schweren amerikanischen Rolls Royce Wagen bewunderten, konnten es kaum ahnen, daß der Besitzer dieser prachtvollen Limousine der berühmte Filmdarsteller Charlie Chaplin war.
Bekanntlich befindet sich Chaplin auf einer Europareise. Wie aus den Tageszeitungen in Wort und Bild ersichtlich ist, wurde er überall von einer begeisterten Filmgemeinde enthusiastisch aufgenommen. Unter anderem erhielt er in Paris die höchste Auszeichnung der französischen Republik, das “Kreuz der Ehrenlegion” überreicht. Charlie Chaplin, der trotz der vielen gesellschaftlichen Strapazen einen frischen, gesunden Eindruck machte, erzählte unserem Sonderberichterstatter über den Zweck seines Tharandter Aufenthaltes in seiner ungezwungenen Weise folgendes:
“Wenn ich trotz meiner zahlreichen anderen Verpflichtungen während meiner Deutschlandreise einen – wenn auch kurz bemessenen – Aufenthalt in Tharandt mache, so gilt es im Namen meines Freundes und Filmkollegen Harry Piel, der Stadt Tharandt eine Dankesschult abzutragen. Harry Phiel war in seiner Jugend genau wie ich ein armer, unbekannter Bursche. Er ist quer durch Deutschland mit einem Reisezirkus gewandert. In Tharandt erkrankte er und ist vin einer Familie I aufs liebevollste bis zu seiner Gesundung gepflegt worden. – Als er dann Weltruhm gewonnen hatte, übersandte er der betreffenden Familie 100 Dollar als Dank für die Mühewaltung anläßlich seiner einstigen Notlage. Der Empfänger des Geldes, ein inzwischen verstorbener Schmiedermeister, wollte aber für seine Nächstenpflich kein Geld annehmen und stellte den Betrag seinerzeit der Stadt zur Verfügung mit der Bitte, den Betrag im öffentlichen Interesse zu verwenden. Damals wurde von diesem Gelde das eiserne Brückengeländer an der Schloizbach-Überbrückung in der Nähe der Gaststätte “Weidmannsheil” gebaut. Der Schmiedermeister, der den Bauauftrag selbst erhielt, hat nun in unauffälliger Weise auch den Namen des Stifters in die Ornamente des Geländers eingefügt.”
“Wenn Sie hierher treten”, fuhr Chaplin fort, “und das Geländer von der Johannisgasse aus betrachten, sehen Sie in der Mitte in kunstvollen Buchstaben den Namen meines Freundes Piel.”
Dann verharrte Chaplin lange in stummen Gedanken vor dieser eigenartigen Ehrung, bestieg seinen Rolls-Royce und verließ nach herzlichem Händedruck unsere Stadt in Richtung Hintergersdorf.
Quelle: Sächsische Dorfzeitung, 31.03.1931